Ein historischer Rückblick - Interview mit Wolfgang Nielsen

Ein Blick zurück und ein Blick in die Zukunft mit Wolfgang Nielsen

02.03.2020

Dies war die erste Kantine. Unschwer zu erkennen hat sich in 25 Jahren viel verändert, nicht nur hinsichtlich der Größe. | Foto: Dominic Quambusch

Zum 25 jährigen Jubiläum der Wuppertaler Tafel sprechen wir mit Wolfgang Nielsen, dem 1. Vorsitzenden und Gründer der Tafel in Wuppertal. Ein Rückblick über die vergangenen 25 Jahre.

Herr Nielsen, eine Tafel gründet nicht jeder. Wie kam die Idee dazu zustande?
Wolfgang Nielsen: Die Tafel, so wie es sie seit dem 1. März 1995 namentlich gibt, existierte bereits in Teilen seit 1988 unter dem Namen „Allgemeiner Hilfskreis“. Ich persönlich wurde inspiriert durch die New Yorker Armenküche. Diese sammelte in einem großen Stil übrig gebliebene Lebensmittel in der ganzen Stadt. So ging ich als Kassenwart des Allgemeinen Hilfskreises zu meinem Vorgesetzten und schlug ihm vor, dass auch wir mit dem Sammeln von Lebensmitteln zur Weiterverteilung an Bedürftige beginnen sollten.

Welcher Zweck bestand denn vorher im Allgemeinen Hilfskreis?
Nielsen: Ähnlich wie auch heute die Tafel halfen wir hauptsächlich jungen Menschen, die zwar eine Wohnung haben aber kein Budget für die Einrichtung. Wir waren zu dieser Zeit mit dem Verkauf von Hausrat gegen ein geringes Entgelt vielen Einrichtungen der damaligen Zeit voraus. Wir wollten einen Beitrag dazu leisten, dass auch sozial schwache Menschen etwas Geld sparen können.

Wie kam der Übergang zur Wuppertaler Tafel zustande?
Nielsen: 1993 wurde in Berlin die erste Tafel gegründet, weitere in Deutschland folgten. Das löste zu dieser Zeit einen regelrechten Boom aus, ähnlich wie zurzeit die Freitagsbewegung der Schüler. Es war schwer, mit dem Vorhaben eine Tafel zu gründen, bei meinem Vorgesetzten Anklang zu finden, obwohl wir viele Mittel durch den Allgemeinen Hilfskreis nutzen konnten. Schließlich konnten wir aber innerhalb von 14 Tagen die Umwandlung durchführen. Wir sind im Februar 1995 nach Berlin gefahren um uns anzusehen, wie es dort läuft. In diesem Jahr wurde dann auch die Kantine eröffnet, damals noch in der alten Margarinefabrik Isserstedt der Steinbeck 24, einem von der Stadt zur Verfügung gestelltem Gebäude. Zunächst haben wir diese von morgens 8:00 bis abends 20:00 Uhr geöffnet, später dann Öffnungszeiten für Frühstück, Mittagessen und Abendessen eingeführt. Für damalige Verhältnisse war solch eine großzügige Ausgabe an kostenlosem Essen bei den Tafeln deutschlandweit einzigartig.

Wie konnte das finanziert werden?
Nielsen: Grundsätzlich war das Konzept „Tafel“ werbewirksamer als der Allgemeine Hilfskreis. Räumlichkeiten, Fahrzeuge und Helfer waren vorhanden, dazu kamen viele ehrenamtliche Helfer. Einen großen Beitrag leistete damals das Unternehmen Daimler-Benz, welches an die ersten 100 Tafeln in Deutschland das Lieferwagenmodell Vito spendete. Durch dieses Sponsoring im Sozialbereich kam es zu einer Win-win-Situation, von der sowohl die Tafeln durch die gespendeten Transporter, als auch das Unternehmen Daimler-Benz für Werbezwecke, profitierten. Durch diese große Medienpräsenz der Tafeln entschieden sich auch andere Unternehmen, die Tafeln in ihrer Stadt mit Spenden zu unterstützen.

Haben Sie noch heute viele Gründungsmitglieder um sich herum?
Nielsen: Einige sind tatsächlich den Weg bis heute mitgegangen. Unser Betriebsleiter Thomas Pförtner war sehr früh dabei, ebenso Manfred Oltmanns, seit Beginn in der Bücherei tätig, Uwe Wunderlich, verantwortlich für das Sozialkaufhaus und auch der jetzige 2. Vorsitzende Peter Krampen mit dem Medimobil war sehr früh Teil der Wuppertaler Tafel. Weitere drei Gründungsmitglieder sind bereits leider verstorben.

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Welche großen Veränderungen gab es im Laufe der Zeit mit der stetig wachsenden Tafel?
Nielsen: Die erste große Veränderung war sicherlich der Umzug der Kantine 1995. Diese war zunächst im Erdgeschoss und hatte 49 Plätze, nach dem Umzug in die zweite Etage hatten wir 180 Plätze, auch die waren immer voll. 1996 wurde das Medimobil mit den Ärzten Dr. Frank Neveling und Dr. Dietrich Bülow gegründet. Der nächste große Schritt war der Umzug nach Barmen an den jetzigen Standort im Jahr 2007. Das Gebäude an der Steinbeck war marode, zum Kauf von der Stadt und der Renovierung fehlten die finanziellen Mittel. Am Kleinen Werth 50 standen uns nun 2500 Quadratmeter zur Verfügung, der jetzige Kantinenbereich, in der ein Teil der Kindertafel, ebenfalls seit 2007 existent, untergerbacht wurde und das Möbelhaus. Das angrenzende IMO-Gebäude mit 10000 Quadratmetern Nutzfläche der alten IMO-Druckerei am Rauen Werth 18 war ebenfalls marode. Es wurde uns vom Eigentümer der GEBA-Immobilien Heinz-Jürgen Hagenkötter zunächst nach einem Miet- und folglich Kaufangebot schlussendlich geschenkt. Dank einer Spende in Höhe von 350000€ durch die Dr. Werner Jackstädt-Stiftung konnten wir das Gebäude renovieren und einrichten. Dort konnte das Sozialkaufhaus erweitert und die Kinderboutique eingerichtet werden. Auch die Kindertafel fand dort ihre neue Einrichtung. Dank großartiger projektbezogener Spenden von LIDL mit 20000€ durch Flaschenpfand und 30000€ durch E/D/E konnten wir überhaupt die alten Industriemaschinen abreißen und eine Fußbodenheizung einbauen. Weiterhin erwähnenswert ist die Gründung der Stiftung der Wuppertaler Tafel im Jahr 2008, welche zunächst eine Treuhandstiftung war und später in eine Stiftung bürgerlichen Rechts umgewandelt werden konnte.

Ist es schwer, solch eine große Organisation zu leiten und zu organisieren?
Nielsen: Sehr viel läuft bei uns über das Vertrauen, aber trotzdem ist eine Organisation vorhanden. Wir verfügen über eine Satzung und nicht jeder kann tun und lassen was er will. Wichtig zu erwähnen sind ehrenamtliche Helfer, die gerne im sozialen Bereich arbeiten möchten. Ebenso dazu gehören ein funktionierender Vorstand und die Abteilungsleiter. Ganz ohne Hilfe und alleine ist das „Schiff Tafel“ manövrierunfähig.

Gab es Krisenzeiten in der Geschichte der Tafel?
Nielsen: Keine besonders herausragenden. Was zurzeit leider eine Verschärfung erfährt, ist die Altersarmut sowie die Kinderarmut.

Was liegt Ihnen noch besonders auf dem Herzen?
Nielsen: Ich möchte mich natürlich bei allen Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtlern sowie regionalen Spenderinnen und Spendern bedanken. Ohne Ihre Unterstützung wären wir nicht so erfolgreich, wie wir es mit Ihnen sind. Es ist mein Ziel Menschen zu treffen, die man für die Tafelarbeit, egal für welchen Bereich, begeistern kann. Zeit und Spenden brauchen wir immer, denn wir können noch besser werden. Ich sehe die Tafeln seit Beginn auf dem richtigen Weg. Schon weit vor politischen Debatten über Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein haben wir der teilweise vertraglich verpflichteten Überproduktion mit der Lebensmittelrettung entgegengewirkt. Auch wir haben Verträge mit mittlerweile allen Discountern in Wuppertal, damit sie uns übrige Lebensmittel zur Verfügung stellen. Dort ist es nun auch Aufgabe des Gesetzgebers, Verschwendung zu stoppen. Ein neuer Mitbewerber für die Tafeln sind neue Food Sharing Angebote, auch diese holen gelegentlich Lebensmittel von den Tafeln ab. Dadurch wird der Markt zwar auch für die Tafeln enger, das ist aber positiv, da somit auch die Tafeln gefordert sind mitzuziehen und sich anzupassen. Zudem wünsche ich mir, dass das Angebot von allen Bedürftigen angenommen wird. Viele, insbesondere von Altersarmut betroffene Rentner, trauen sich einfach aus Stolz nicht, unsere Einrichtung aufzusuchen. Dies tut mir sehr weh, denn wir sind da um allen Bedürftigen zu helfen. Jeder erfährt bei uns Zuneigung und ist willkommen.

Wir danken Wolfgang Nielsen für das Gespräch.